Gotteshaus liegt höher als Marktkirche |
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Die evangelische Kirche in Rambach besteht seit 120 Jahren / Erster eigener Pfarrer kam erst 1953 In diesem Jahr feiert die evangelische Kirche in Rambach ihr 120-jähriges Bestehen, berichtet Gustav Reusing stolz. Zu diesem Gotteshaus hat der katholische Heimatforscher eine besondere Beziehung: Meine Frau Erika und ich führen eine ökumenische Ehe. Wir fühlen uns der Rambacher Kirche stark verbunden, weil hier alle Taufen, Konfirmationen und Trauungen der Familie stattfanden. Darüber hinaus wurde er von seiner katholischen Heimatgemeinde entsandt, um sieben Jahre lang mit dem Redaktionsteam der evangelischen Kirche Rambach den ökumenischen Pfarrbrief zu erstellen. Das schöne Gotteshaus steht idyllisch auf einer Anhöhe exakt 235 Meter über dem Meeresspiegel, und liegt somit höher als die Marktkirche in der Wiesbadener Innenstadt, die sich auf 115 Metern über dem Meeresspiegel befindet, präzisiert Reusing. Rambach selbst war ursprünglich katholisch und wurde erst zwischen 1540 und 1545 im Zuge der Reformation rein evangelisch. Zu jener Zeit gab es bereits eine Kapelle in Rambach, die aber - wie man in der Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Kirche nachlesen kann - 1546 bei einem verheerenden Brand in Oberrambach vernichtet wurde. 1680 wird erstmals ein zweites Gotteshaus erwähnt, eine kleine Holzkirche mit einem Dachreiter, die an der gleichen Stelle stand und umgeben vom Friedhof war, so Reusing. Rambach hatte damals keinen eigenen Pfarrer, die evangelischen Gemeindemitglieder mussten zum Gottesdienst nach Bierstadt wandern. Ab dem Jahr 1685 wurden sie dann kirchlich betreut von Sonnenberg. Der Pfarrer kam sonntags zu Fuß nach Rambach. Er nahm den verlängerten Kurweg, der deshalb im Volksmund auch der Pfaffenpfad genannt wurde, weiß Reusing aus seinen Recherchen.
1887 wurde diese Vorgängerkirche
jedoch für baufällig erklärt und 1891 abgetragen. Es gelang
der Kirchengemeinde, den gesamten Kirchhof für nur 20 Mark von der
Zivilgemeinde zu erwerben. Der Grundstein wurde am 2. Juli 1891 gelegt. In
nur 14 Monaten Bauzeit entstand schließlich die
heutige
Kirche, erbaut unter dem Rambacher Maurermeister Philipp Christian Schneider
nach Plänen des bekannten Architekten Ludwig Hofmann aus Herborn,
sagt Reusing und ergänzt: Der damalige Sonnenberger Pfarrer Ottokar
Schupp, nach dem die Schuppstraße benannt wurde, sammelte dafür
stolze 40 000 Mark. Das Baumaterial, der Grünstein, stammte aus
dem Rambacher Steinbruch. Das Gotteshaus verfügt über 350
Sitzplätze, ist 33 Meter lang und 13 Meter breit. Für einen
Turm reichte das Geld nicht mehr, man errichtete nur einen zwölf Meter
hohen Dachreiter, so Reusing. Deshalb habe Pfarrer Schupp den Satz
geäußert: Es wäre uns lieb gewesen, wenn wir einen
entsprechenden Turm hätten hinzufügen können! Die feierliche
Einweihung fand am 15. September 1892 statt.
Das Gotteshaus besticht heute durch zahlreiche Sehenswürdigkeiten, wie die herrliche Kanzel und den Altar aus Sandstein. Die Symbolfiguren der vier Evangelisten an der Kanzel wurden erst 1962 durch den Kirchenmaler Hermann Velte hinzugefügt, sagt Reusing. Imposant ist zudem der Klang der vier Glocken: die Gebetsglocke, die bereits in der Vorgängerkirche hing und die die Inschrift trägt: Aus dem Feuer kam ich geflossen, wurde von Friedrich Burkhardt von Tiefenbach, Amt Braunfels, v. d. Gemeinde Rambach wieder umgegossen im Jahr 1816; außerdem die Friedensglocke, die aus den Beständen des Hamburger Glockenfriedhofs stammt und im Luther-Geburtsjahr 1483 gegossen wurde (sie wird deshalb auch Luther-Glocke genannt), sowie die Ewigkeitsglocke und die Gloriaglocke. Die evangelische Kirche in Rambach besteht seit 120 Jahren / Erster eigener Pfarrer kam erst 1953. Interessant ist auch die Geschichte der Chorfenster, die ebenfalls in der Festschrift erwähnt wird: Das erste Altarfenster war - nach den Vorstellungen Ludwig Hofmanns - dreigeteilt und zeigte in der Mitte den auferstandenen Jesus, verklärt, mit seinen segnenden Händen. Es wurde jedoch im Zweiten Weltkrieg, am 2. Februar 1945, durch eine Brandbombe zerstört, die im Heizungsraum der Kirche niederging. An Pfingsten 1948 wurde das zweite Chorfenster, ein Werk des Glasermeisters Jean Arnold, enthüllt und eingeweiht: Es zeigte den gekreuzigten Jesus im Stil des 19. Jahrhunderts. Im Zuge der großen Renovierung 1962 ließ die Gemeinde ein drittes Chorfenster einsetzen, das Reusing in seinem Büchlein Die Madonnen Wiesbadens ausführlich beschreibt: Das große, dreiteilige Buntglas-Chorfenster stammt von Gustl Stein aus Mainz. Stein war Dozent für Kunst- und Werkerziehung in Mainz. In seinem, sich über zwei Felder erstreckenden Mittelfenster, dem eigentlichen Mittelpunkt des ganzen Fensters, ist die Kreuzigung Jesu dargestellt. Maria (1,04 Meter hoch) steht unter dem Kreuz, zu ihren Füßen liegt noch der mit Essig getränkte Schwamm. Dieses beherrschende Bild ist ein Kunstwerk von ungewöhnlicher Ausdruckskraft. Maria hat die Arme und Hände erhoben, als wolle sie ihr Gesicht mit ihren Händen bedecken und ihre Tränen verbergen. Zum Abschluss gibt Reusing noch eine Anekdote zum Besten: Zum 100-jährigen Jubiläum der evangelischen Kirche 1992 entwarf der Schriftführer des Rambacher Heimatkreises, Wolfgang Clemenz, eine Sonderbriefmarke. Der Heimatkreis machte sich den Spaß und ließ in der Zeitung eine Notiz veröffentlichen, die den Eindruck erweckte, man könne diese Sonderbriefmarke fortan in der Rambacher Poststelle kaufen, was natürlich nicht stimmte, erzählt er lächelnd. |
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Quelle: Wesbadener Tagblatt vom 19.07.2012 (Von Beate Rasch) |
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